„Alles, was hochkant ist, ist morgen“, höre ich, während ich an der Kasse bei Lidl das Wechselgeld einstecke, etwas nervös in die Enge gedrängt wie immer durch den Umstand, dass ja bei Lidl die über den Scanner gezogenen, also zum Einpacken dem Kunden überlassenen Waren nicht auf mit Handschiebern separierbaren Abstellflächen landen, von wo sie in Ruhe verpackt werden können, sondern praktisch in einer Bewegung gleich irgendwohin müssen, damit nicht die „Nahrungskette“ unterbrochen wird zwischen mir, der ich jetzt bezahlen muss und also besonders gefordert bin, der Kassiererin, die jetzt in der Wartezeit verschnaufen kann, und dem anrückenden nächsten Kunden, der nach langem Warten nun nicht auch noch auf den orientierungslos verschnarchten Vorgänger warten möchte. So wie eine Autobahnauffahrt ohne Beschleunigungsstreifen in kurvenreicher Umgebung ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. „Alles, was hochkant ist, ist morgen“ erreicht mitten drin mein Ohr und ich beziehe den Satz zunächst als ironischen Kommentar auf mein ungeschicktes Fortkommen. Irgendetwas Originelles, auf das mein Gehör geeicht ist, erkenne ich gleichwohl in dem Satz, und so gehe ich ihm nach. Er entstammt der untersetzten Mitarbeiterin, die sonst oft an der Kasse sitzt, heute aber zum Räumen eingeteilt ist. Als ich sehe, dass sie den o.g. Satz ausgesprochen hat, während sie gebeugt unter einem Turm von leeren Kartons ihr Dasein fristet, muss ich enttäuscht hinnehmen, dass er sich wohl tatsächlich nur auf die konkrete Aufstellform der hiesigen Waren bezogen haben kann. Schade.
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Dislexia oder: Nietzsches zerquetschte Niere.
Filmtitel (optional): Dem Nietzsche die Niere zerquetschte.
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Zu einer Geburtstagsparty am Samstag wünscht sich die Gastgeberin ausdrücklich keine Geschenke, schließlich habe sie schon alles. Stattdessen bittet sie ihre Gäste, sich am Eingang einer geheimen Bar am Nollendorfplatz mit einem Porträt von sich im DIN-A4format auszuweisen und darauf ihr Lebensmotto zu schreiben. Da ich keins habe, fange ich beim Yoga zwei Tage vor der Party damit an, mir eins auszudenken, das sich in eine kurze pointierte Sprachform gießen lässt. Ich finde schnell ein Thema aus der Yogastunde heraus und bewege es dann vielleicht fünfzehn Minuten im Kopf hin und her, um es spruchreif zu machen. Schließlich gebe ich es zum Stuhlgang frei: „Flexibilität über Kraft – Gestrecktes über Saft“. Als wir nach sechzig Minuten Meditieren die Augen in Richtung Hasenheide öffnen dürfen, erblicke ich als erstes einen Fuchs, der im Unterholz hin- und herläuft, auf die eigenwillige, tänzelnd schwebende Art, die den Füchsen eigen ist.
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winter still. still winter
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26.1. – Der Yogaraum geht auf die Hasenheide. Die ganze Wand aus Glas, ein Park als Film im Kino. Die Zuschauer machen Yogaverrenkungen jeden Sonntag. (Früher gingen sie in die Kirche und machten einen Anderen nach…) Wir hören dem Meister zu und lassen unseren Körper das Gehörte ausführen, nach oben, unten, den geflickten Affen, den abwärtsschauenden Hund, manchmal die Taube, eine Dehnung, die ich früher fürchtete, heute herbeiwünsche, oder die Krähe. “Spüre, welche Teile deiner Körper den Boden berührt, und welche Teile deiner Körper berührt den Boden nicht”, lautet immer wieder eine Anweisung des Meisters, der mittlerweile gut Deutsch spricht, so gut, dass es Spaß macht, über die Logik seiner Fehler nachzudenken, sofern man beim Verrenken dazu Muße findet, wie ich. – Beim vorletzten Mal zeigte sich im Dickicht der Hasenheide vor uns ein Fuchs. Stolz hüpfte er durch das im Januar gelüftete Unterholz, suchte etwas zu erspüren, bemerkte uns jedoch nicht. Uns, das waren etwa fünfzig synchronisierte Sportliche, die sich von ihrem regelmäßigen Einfinden in jenem Raum mehr versprechen als eine leichte Überdehnung möglichst vieler im Alltag unbeanspruchter Sehnen und Muskelpartien. Ein bisschen mehr, das aber das Entscheidende ist. Der Fuchs verlief sich aus unseren Augen im Park, aber bald war er wieder da und blieb bis zum Ende der Stunde. Er war beschäftigt, nicht gestresst, ich aber konnte nicht herausfinden, was es war, das ihn unterhielt. Uns, wie gesagt, bemerkte er nicht. – Heute wieder im Club. Hasenheidekino. Ein dunkelhäutiger und schwarzgekleideter Mensch wird im schattigen Unterholz erkennbar. Mit seinen Bewegungen hebt er sich von der Winterschraffur ab. Ich adaptiere. Er hat wohl eine kleine Hacke in der Hand, mit der er, tief nach unten gebeugt, etwas verbuddelt oder etwas unterm Wühlen zu finden sucht. Auch er geht und kommt wieder. Verbuddelt wieder etwas. Ich könnte nachher in den Park gehen und versuchen, die Stelle zu finden. Drogenfundstelle. Er ist zielgerichteter als der Fuchs. Aber bemerken tut auch er nicht die fünfzig Augenpaare, die auf ihn gerichtet sind. Er könnte sie sich verrenken sehen, kaum zehn Meter von ihm entfernt, in dem erleuchteten Raum, der für ihn wie ein ausgeleuchteter Kaninchenstall scheinen müsste. (Beim Fuchs haben sie alle um mich herum geraunt: “Ein Fuchs!” – Heute, beim Drogendealer, bleibt es mucksmäuschenstill.)
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I crisscross walked the streets of Leipzig today, with no reason, as I found upon all the sights of the day. I had barely managed not to slip on the icy roads and sidewalks. I only rode the S-Bahn one station before I left again, thus managing the conductor could not catch me. I had a mini lunch only because I needed to enter an inn for peeing. Drinking Saxon beer and listening to Saxon accent. Getting on with my crisscrossing. Almost there. A naked road, at the edge of town, where a disastrous scenery of people and items of misery suddenly unfolds. No. 10. A name plate, but no door bell. If there would have been one, I would have reeled back onto the street.
winter. still.
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Berlin has always been living and dying at once, since it was brought into being.
Suffering and joycing, as might be said.
Playing and misfitting.
Being understood and misunderstood.